Stellungnahme zur EU-Politik und Pulse of Europe

(Hier geht es zu unserer EU-Sparte)

Wir von Attac kämpfen für ein solidarisches und gerechtes Europa! Die aktuelle politische Lage und der Rechtsruck in Europa sind besorgniserregend. Schlimm ist dabei insbesondere die aktuelle Politik der EU, die die Mechanismen demokratischer Beteiligung aushebelt oder abbaut. Aus dieser Politik wurde das Prinzip der Solidarität verbannt.

Die Bewegung Pulse of Europe wirbt seit einigen Wochen europaweit in vielen Städten für ein vereintes, demokratisches Europa. Demnächst auch in Paderborn. Verursacht durch den Brexit und die Wahlüberraschung in Amerika, besteht bei den Organisatoren angesichts bevorstehender wichtiger Wahlen in Europa die Sorge, dass der Zusammenhalt weiterhin zerbricht. Als unverhandelbare „vier europäischen Grundfreiheiten“ benennen sie Personenfreizügigkeit, freien Warenverkehr, freien Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit. Aber sind nicht gerade die letzten drei „Grundfreiheiten“ nichts weiter als die Dogmen der Marktradikalisierung, die Millionen von Menschen im Zuge der andauernden Finanz- und Euro-Krisen in schwere wirtschaftliche und persönliche Nöte gestürzt haben? War nicht der freie Zahlungs- bzw. Kapitalverkehr maßgeblich an der Enstehung der Finanz- und Immobilienkrisen Südeuropas beteiligt? Und haben Zeitarbeit, Lohndumping und Sozialabbau immer weiter verschärft?

Für welche Demokratie, für welches Europa, sollen die Bürger bei Pulse of Europe auf die Straße gehen? Und was ist mit dem zunehmenden Demokratieabbau durch die EU?

Nehmen wir nur einmal die Troika-Politik zu Griechenland, bei der handverlesene Personen und Institutionen, ohne demokratische Legitimierung, über die gesamte Wirtschaft, das Wohl und Wehe der Bevölkerung und des Landes Griechenland entscheiden. Die gewählten Repräsentanten Griechenlands wurden komplett übergangen oder unter Druck gesetzt, bis sie einlenken mussten. Selbst über das direkte Referendum des griechischen Volkes im Jahr 2015 setzten sich die Troika-Technokraten hinweg.

Soll so Demokratie aussehen? Was ist mit der Freiheit, als Bürger die Demokratie gestalten zu können? Ist diese etwa gar der Freiheit des Zahlungsverkehrs zu opfern? Wenn der Souverän die EZB und nicht das Volk ist? Muss man nicht gegen statt für eine solche EU-Politik auf die Straße gehen?

Oder betrachten wir die EU-Freihandelsabkommen: Der Widerstand in der Bevölkerung ist gewaltig, Hunderttausende gingen europaweit dagegen auf die Straßen. Denn es werden Abkommen im Umfang tausender Seiten in intransparenten Prozessen verhandelt, die rein an Unternehmensinteressen und der Profitgier weniger ausgerichtet sind. Diese Abkommen, die von der EU-Administration, in Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen, ausgehandelt werden, vermögen demokratische Prinzipien über Konzern-Sonderklagerechte auszuhebeln und fördern die Ausbeutung von Menschen, Ressourcen und Umwelt.

Zudem wird aktuell der Dublin-IV-Gesetzesentwurf verhandelt, der die Flüchtlinge rein nach nationalen Ränkespielen aufteilt, ohne irgendeine Besserung oder Unterstützung der erbärmlichen Zustände in den überfüllten Flüchtlingscamps in Griechenland, Italien und andernorts zu liefern. Mit diesem Gesetzentwurf entfiele aber gleichzeitig der Schutz Minderjähriger Flüchtlinge. Darüber hinaus ginge für Flüchtlinge auch jeglicher Anspruch auf medizinische Versorgungen außerhalb des Landes, dem sie zugeteilt wurden, verloren.

Damit wird die Verantwortlichkeit für die Flüchtlinge noch stärker einigen wenigen Länder zugeschoben. Diese EU-Politik führte zu den katastrophalen Bedingungen für Flüchtlinge in Ungarn und Griechenland.

Ein Wille zu Solidarität, zu einer gemeinsamen Bewältigung dieser Aufgabe, ist in der EU nicht zu erkennen. Stattdessen wird mit Frontex die Grenzen abgeschirmt und die Despotie Erdogans gestärkt, um sich die Flüchtlinge „vom Halse zu halten“.

Hier wird in massiver Art und Weise die Personenfreizügigkeit verletzt! Und hier wird von der EU eine rechte Agenda durchgedrückt! Dagegen muss es deutliche Kritik geben, und die muss auch von Pulse of Europe kommen!

Zuguterletzt sind leider auch die Institutionen der EU selbst an vielen Stellen einer demokratischen Kontrolle entzogen. So kann das europäische Parlament, die einzige direkt gewählte EU-Institution, lediglich Änderungen an Gesetzen vorschlagen und diese dann mit dem EU-Minister-Rat verhandeln. Das Parlament kann aber nicht selbst initiativ Gesetze einbringen. Gesetzesvorschläge kommen allein aus der EU-Kommission, die nur einer sehr indirekten demokratischen Kontrolle untersteht. Überdies werden die meisten Gesetze (2009 bis 2014: 93 %) über ein nicht-öffentliches, informeller Trilog genanntes, Verfahren verhandelt. Für die allermeisten EU-Bürger ein nicht zu durchschauender Sumpf.

Diese Politik muss geändert werden! Und zwar grundlegend! Eine solche Politik des ultimativen Wettbewerbs, ohne jegliche Solidarität, welche die Profite Weniger über demokratische Partizipation, über die Menschen, den Frieden (siehe Waffenexporte, Libyen, Mogherini zu Syrien) und nicht zuletzt eine intakte Ökosphäre stellt, kann in der Konsequenz nur immer weiter nach rechts driften, denn sie erhebt den Nutzen der Märkte über die Rechte der Menschen und schürt Ausgrenzung. Dadurch wenden sich die Menschen der vermeintlich sicheren nationalen Politik zu. Wenn wir diese Politik nicht wesentlich ändern, wird der Rechtsruck nicht mehr aufzuhalten sein!

Wo sind also die dringend notwendigen Reformvorschläge? Davon bekommen wir bei Pulse of Europe bisher leider nichts zu hören oder zu sehen. Lediglich pro-europäische Allgemeinplätze und ein Meer aus EU-Fahnen, während kritische Stimmen unerwünscht scheinen.

Liebe Organisatoren von Pulse of Europe, zeigt uns, dass Ihr tatsächlich etwas ändern wollt an den bestehenden europäischen Verhältnissen. Dass Ihr scharfe Kritik übt, wo die EU unmenschlich und undemokratisch ist.

Sonst gilt, wie Heiner Flassbeck schrieb: Wer die „richtigen“ (Europa-)Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

 

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